Roadtrip 2021, Etappe 1: Die Partycrasher auf der heidelberger Ritterburg
Als wir oben am Schloss von Heidelberg ankommen, bin ich schweißgebadet. Es ist herrlicher Sonnenschein und wir haben von der Altstadt aus alle Stufen des Schlossberges erklommen. Ein paar Tage zuvor haben Mimi und ich noch mit einem kleinen Infekt im Bett gelegen und das macht sich jetzt in unserer Kondition (und unserer Laune) bemerkbar. Das ist immer der Moment, in der in unserer Chaosfamilie für eine Minute die Nerven blank liegen und wir uns alle kurz anzicken. Andere Eltern wilder Kinder (vor allem derer, die sich in oder kurz vor der Pubertät befinden) wissen, wovon ich spreche. Aber eine kurze Trinkpause und ein Eis für Mads später sind wir alle wieder handzahm und werden für die Anstrengung mit einem Rundumblick von der Schlossterrasse über die ganze Stadt belohnt.
Wenn man ein Ticket für das Schloss kauft, ist die Fahrt mit der Bergbahn inklusive. Leider inkludiert das nicht das letzte Stück bis zum Königstuhl auf der Spitze des Berges, aber immerhin kann man zwischen Altstadt, Schloss und einer weiteren Bergstation pendeln. Bis zum Königsstuhl gelangt man nur mit der historischen Bergbahn, für die man aber ein extra Ticket benötigt. Da wir nur auf der Durchreise sind, haben wir uns das allerdings gespart. Wichtig ist, dass man sich aktuell unbedingt vor der Fahrt zum Schloss testen lassen muss oder ein gültiges Impfzertifikat vorzeigen kann. Sonst darf man die Bahn nicht betreten und auch am Ticketschalter für das Schloss werden wir nach den Nachweisen gefragt.
Besonders faszinierend finden unsere Kinder im Heidelberger Schloss das riesige, 1751 erbaute, Weinfass, das man besichtigen und über hölzerne Treppen sogar erklettern kann. Natürlich haben wir - typisch Chaosfamilie - zuerst vor einem schon sehr großen, aber dennoch nicht dem richtigen, Fass gestanden und es ausgiebig bewundert, bevor wir darauf aufmerksam wurden, dass es nebenan ein noch viel größeres Exemplar gibt. Das große Fass in Heidelberg kann 210.000 Liter Wein beinhalten (das tausendfache eines gewöhnlichen Weinfasses), jedoch wurde es in seiner Geschichte nur dreimal befüllt, weil es wohl nie richtig dicht war. Es ist übrigens schon die vierte Version des großen Fasses, da seine Vorgänger entweder in Kriegen zerstört wurden oder von selbst zerfielen. Spannend, dass das Fass eine solch enorme Bedeutung hatte, dass man es immer wieder aufbaute.
Nach der Besichtigung des Schlosshofes ist uns nach etwas mehr Abenteuer zu Mute und wir steigen in den Schlossgraben hinab, um das Gelände dort zu erkunden. Ich vermute vor den Kindern, dass vielleicht irgendwo ein Schlossdrache… man munkelt, er hieße Kasimir… wohnen könnte, was Mads sofort in Aktion versetzte. In jeder Maueröffnung muss die ganze Familie akribisch nach Kasimir suchen. Dabei entdecken wir nicht nur eine alte Wasserzufuhr ins Schloss, sondern auch einen schiefen, halb zerstörten Turm. Der Turm war 1693 im Pfälzischen Erbfolgekrieg gesprengt worden. Ich liebe ja diesen lebendigen Geschichtsunterricht. Man kann auf jedem Trip ein paar kleine wissenswerte Fakten einbauen.
Der ominöse Drache Kasimir taucht aber - trotz intensiver Suche - während unseres Aufenthalts nicht mehr auf.
Für den Weg zurück zum Auto nehmen wir diesmal die Bergbahn und gleiten ganz entspannt ins Tal zurück. Gott sei Dank habe ich noch 2% Akku und kann unsere Impfzertifikate und auch die Testergebnisse vom selben Tag gerade noch vorzeigen, bevor das Handy den Geist aufgibt, sonst hätten wir wohl doch wieder die Treppen nehmen müssen.
Unsere Unterkunft für die Nacht erreichen wir - nachdem wir etwas längere Zeit benötigen, um unseren Parkplatz ohne den Einsatz von Google Maps zu finden (der Akku war ja leer) - um 19 Uhr. Ich habe uns in einer ehemaligen Ritterburg in Wiesloch, ca. 15km von Heidelberg entfernt, eingebucht.
Die Burg Hohenhardt wurde erstmals im Jahr 1127 erwähnt, fiel aber leider dem 30jährigen Krieg zum Opfer. Die letzten Ritter wurden vertrieben und die Burg war nach dem Krieg vollständig zerstört. 1694 wurde vom unfreien Ritter Ulrich von Hohenhardt aus den Steinen der alten Ritterburg ein Herrenhaus erbaut. Und in diesem Herrenhaus sollten wir die Nacht verbringen. Eine extrem urige Location, die sich heute auf dem Gelände eines darum herum entstandenen Golfplatz befindet. Mads sieht mich mit großen Augen an, nachdem wir ankommen und fragt, ob Drache Kasimir wohl auch mal hier gewohnt haben könnte. Vielleicht hatte ja auch er die letzten Ritter in die Flucht geschlagen? Man weiß es nicht...
Unsere Gastgeber Helga und Ulrich hatten uns bereits vorgewarnt, dass am Abend unseres Aufenthalts der Golfclub sein Sommerfest im Hof der ehemaligen Burg feiern würde und es nachts lauter sein könnte. Ich hatte daraufhin geschrieben, dass wir ganz genügsam wären und dadurch vielleicht sogar die Möglichkeit hätten, eine Kleinigkeit vor Ort zu essen (ich dachte an eine Bratwurst oder ähnliches). Und so kam es, dass wir zu Partycrashern auf dem „Tanz unter dem Regenbogen“ des Golfclubs werden. Helga hatte uns geschrieben, dass wir uns gern in der Gaststätte melden könnten und uns am Buffet des Festes bedienen sollten. Einen Schlummertrunk könnten wir uns dort auch gern gönnen. Also sitzen wir im Innenhof bei leichtem Regen unter einem Sonnenschirm, als sich die Feiergesellschaft in die Gaststätte und das extra aufgebaute Zelt zurück zieht, und schlemmen festlich. Besser kann der Urlaub doch gar nicht starten, als mit einem feinen Teller vom Buffet, hervorragendem Nachtisch und einer Flasche Weißwein. Als ich mich nach dem Essen bei Frau Bauer, der Leiterin der Gaststätte bedanke, sagt sie: „Nein, wir haben zu danken. Sie müssen ja die Musik heute Nacht aushalten!“.
Wir aber sind schlagskaputt, hören fast gar nichts und wahrscheinlich träumt in dieser Nacht jeder von uns von Drache Kasimir und seinen Abenteuern in und um Heidelberg herum.
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