Das Schärfste zwischen Lübbenau und Burg - Die Chaosfamilie im Spreewald

Wenn wir mit unserer großen Familie gemeinsam verreisen, dann geht es immer etwas chaotisch zu, weshalb man uns – regelmäßige Leser wissen es - auch liebevoll die „Chaosfamilie“ nennt. Natürlich sollte auch der Wochenendtrip in den Spreewald, inklusive Kurzbesuchs bei unseren Verwandten dort, dem in nichts nachstehen. Ich fuhr mit unvollständigem Gepäck, da ich bis ungefähr eine Stunde vor Abfahrt aufgrund eines fiebrigen Kindes noch über Stornierung nachdachte, Jens sich dann netterweise fürs Team opferte und ich alles nur noch in die Tasche warf. Ein Teil der Familie war bereits seit Mittag vor Ort, während ich völlig gestresst vom Trubel zuhause und diversen Staus Günter und Birgit mit dem Bulli einsammelte. Wir drei schlugen erst zu späterer Stunde, passenderweise genau zum Abendessen, in Burg im Spreewald auf. 

Im Kräutermühlenhof, unserem Restaurant für den Abend, war die ganze Familie noch k.o. und nahm, artig auf der Ofenbank am Tisch sitzend, für unsere Verhältnisse fast stillschweigend, das Abendessen ein. Auf dem Rückweg fanden wir keine Kneipe oder Bar zum Einkehren, so dass wir schon den Plan hatten, in meinem großen Zimmer (der romantischen Suite…na toll…) mit Sofaecke einen Absacker (sprich: warmes Bier aus dem Kofferraum) zu uns zu nehmen. 

Der allgemeine Tenor war, dass wir heute definitiv nicht alt werden würden. Auf dem Grundstück neben unserer Pension Altes Schulhaus brannte in einer kleinen Hütte mit Aufschrift Hof-Bar allerdings noch Licht und Chris rief, flankiert vom Rest „unserer“ Männer direkt über den Zaun, ob geöffnet wäre. Der Wirt, den wir später als Sepp kennenlernten, merkte an, dass er erst im Mai die große Eröffnung feiern würde, wir aber gern auf ein oder zwei Getränke herüberkommen könnten. Und so wurde quasi einer der lustigsten Spontan-Abende eingeläutet, den diese Familie seit langem erlebt hatte. 

Es dauerte nicht lange, da kehrten auch ein paar Fußballer vom SG Burg nach einem Spiel ein und die Hütte war voll. „Wir haben 2:0 gespielt. Gegen den Tabellenführer!“, erzählte einer von ihnen erfreut, woraufhin wir ausgiebig gratulierten und ausgiebig auf dieses Ergebnis anstießen. Stellte sich doch später heraus, dass es ein Auswärtsspiel war, haha. 

Anscheinend dennoch ein Grund zu feiern. Während mir einer der Spieler gleich Haus und Hof…und sich selbst…anbat, trat Günter mit zweien von ihnen in so tiefe politische Gespräche ein, dass wir schon befürchteten, dass er morgen direkt für den Stadtrat von Burg kandidieren würde. Als Sepp dann noch berichtete, dass er für die Eröffnungsfeier noch einen Akkordeonspieler suchen würde, der das historische Akkordeon spielen könne, das zur Zierde an der Wand hing, gab es kein Halten mehr. „Günter kann Quetschkommode spielen!“, rief meine Tante Ingrid und zack hatte Günter das Gerät auch schon in der Hand und unterhielt alle Anwesenden mit „So ein Tag, so wunderschön wie heute…“. Einer der Fußballer lehnte sich dabei romantisch an ihn an: „Jünter, ik liebe dich!“. 

Die Fußballer scharten sich um Birgit, stellten bei ihr Ähnlichkeit zu Uschi Glas fest und philosophierten mit ihr und Günter über eine, mir bis dato gänzlich unbekannte, Schuhmarke, so dass plötzlich alle ihre Schuhe (ebendieser Marke) in die Luft hielten. Vielleicht sagt ihr: Mhm, man muss wohl dabei gewesen sein, aber lasst euch sagen, Ingrid und ich lachten an diesem Abend Tränen! Für die geplante Eröffnung der Hof-Bar hielt ich den Abend in verrückten Fotos und Videos fest, so dass Sepp sie später für seine Werbung nutzen könne. Die Abende, an denen man denkt, dass man wohl zur Tagesschau einfach nur noch platt im Bett liegen wird, dann aber doch noch versackt, sind doch einfach die Besten!

Für den nächsten Tag hatte Sepp uns angeboten eine Kahnfahrt mit einer kleinen Wanderung über seinen Bekannten Martin zu organisieren, der eine kleine Vermietung namens SUP-Spreewald an einem der Fließe (der kleinen Kanäle) außerhalb von Burg hatte. Nach dem Frühstück stand die halbe Familie allerdings planlos und diskutierend an Sepps Hütte, weil wir uns nicht einig wurden, ob Burg oder der bekanntere Ort Lübbenau die bessere Wahl für eine Kahnfahrt wäre. Sepp rollte mit den Augen und stellte schmunzelnd fest, dass wir wohl nicht ohne Grund "die Chaosfamilie" genannt werden. 

Schließlich waren wir dann doch zwischen den Fließen in der Natur unterwegs in Richtung der Verleihstation und trafen an seinem Haus auf Martin, der schon den Kahn für unsere Tour packte. Wir durften auf Strandstühlen im Garten Platz nehmen und kalte Getränke in der Sonne genießen, während wir auf seinen Vater Michael warteten, der unser Kapitän für die Tour sein würde. Weit und breit kein anderer Kahn und keine anderen Touristen in Sicht. Genau so mag ich das! 

Mit den Worten: „Das Wasser ist hier so flach. Wer hier ertrinkt, der ist zu faul zum Stehen!“ wurden wir kurz darauf zu Wasser gelassen und genossen bei bestem Wetter mit über 20 Grad und Sonne die Getränke aus dem Korb, den Martin für uns gepackt hatte, sowie die spannenden Geschichten, die Michael über Land und Leute zu erzählen hatte. Wir erfuhren, dass „Mondscheinfahrten“ in Jugendzeiten immer die Gelegenheit für die örtlichen Jungs waren, um mit den hier urlaubenden Mädels in näheren Kontakt zu kommen. Er erzählte uns auch, dass es mittlerweile kaum noch Gurkenbauern im Spreewald gäbe und die Gurken oft von außerhalb kämen und hier nur verfeinert würden.

Schließlich kamen wir an die erste Schleuse, die man hier selbst mechanisch bedienen muss. Außer es steht ein Kind am Rand, das sich mit dieser Tätigkeit etwas dazuverdienen möchte. Günter sprang sofort aus dem Kahn. Er hatte wohl Referenzen von früheren Fahrten auf der Lahn und bediente die Schleuse unter den kritischen Augen von Chris und Bobby, die mit ihm an Land gegangen waren, souverän, während wir Frauen mit Michael und Baby Lilly im Kahn sitzen bleiben konnten. Michael sagte dazu einen bekannten Schleuserspruch auf:

„Ich schleuse hier für groß und klein.

Ich lass euch in die Schleuse rein.

Ich lass euch wieder raus.

Ich hoffe, ihr gebt mir einen aus.

Und ist der Lohn nicht wie vermutet,

dann wird der Kahn geflutet.“

(Verfasser unbekannt)

Auf der anderen Seite der Schleuse angekommen, lachte Michael und rief an Land: „So Jungs, denn macht’s gut! Ich hau‘ jetzt mit euren Frauen ab!“, worauf Birgit schmunzelnd antwortete: „Können wir nicht mal das Tempo beschleunigen?“. Günter winkte uns zum Abschied und Chris meinte, im Hintergrund eine Kneipe erkannt zu haben, zu der man doch gehen könnte, wenn es hier für die drei nicht weiter ginge. Pragmatisch sind die Männer in unserer Familie auf jeden Fall!

Auf der gesamten Tour begegneten wir nur einem anderen Spreewald-Kahn, dafür aber zahlreichen Kanufahrern. Auch SUP Fahren wird auf den Fließen wohl immer beliebter, wie uns Martin später noch erzählte.

Wir hingegen haben uns gemütlich durch die Sonne schippern lassen, um nach einem weiteren kleinen Marsch in der Kolonieschänke ein Plätzchen im Biergarten zu suchen. Mit leckerem Matjes, sowie kalten Getränken, ließen wir die Tour des Tages Revue passieren. Auf dem weiteren Rückweg unterhielten wir noch eine komplette Eisdiele, als wir dort einfielen, stehend unser Eis schleckten und die Männer mit den hiesigen Damen ins Gespräch kamen. „Ich glaub, die steht auf mich!“, philosophierte mein Onkel Bobby, während Ingrid mich kopfschüttelnd und grinsend ansah. „Du bist das Schärfste zwischen Burg und Lübbenau…“ und so. 

Es ist das Lieblings-Loriot-Zitat meines Waliser Onkel Bobby, das er bei jeder Gelegenheit zum Besten gibt und was oft dazu führt, dass fremde Damen sich gern mal vorsichtshalber wegsetzen. Diese hier waren wohl eher entzückt, so dass Ingrid das nächste Loriot-Zitat direkt verwendete und ihn fragte, wann denn die Hochzeit stattfinden würde, während sich die Gäste am Nebentisch schon köstlich über uns amüsierten. Mir schwante, dass wir hier einen bleibenden Eindruck hinterlassen würden. Und auch spät abends, als wir noch ein paar schöne Stunden in Sepps Hof-Bar verbracht hatten, verabschiedete Sepp uns mit den Worten: „Die Chaosfamilie werde ich wohl nie vergessen!“. Ingrid drehte sich lachend um und konterte: „Ja, das geht den meisten so!“. 

Morgens erwartete uns das übliche Frühstück mit "rauer Herzlichkeit" in einem benachbarten Hotel. "Ah, Sie sind die Herrschaften von Außerhalb!", war die allmorgendliche Begrüßung. Während ich zwei Morgen lang vermutete, dass ansonsten nur Gäste aus der näheren Umgebung hier nächtigten und darüber grübelte, wie das denn sein kann, dämmerte mir doch am Ende der Reise, dass mit "Außerhalb" wohl doch eher "nicht aus dem Hotel" gemeint war. Das Frühstück war super, aber bitte hier vorsichtig nach dem zweiten Cappuccino fragen, sonst droht Ärger von den charmanten Damen, haha. Plan für den nächsten Tag würde es sein, Lübbenau und das Spreewalddorf Lehde zu erkunden. Abschließend würden wir bei unseren Verwandten einkehren, die ich bereits seit Kindertagen nicht mehr gesehen hatte. 

Die kleine Wandertour von Lübbenau nach Lehde und zurück umfasste entspannte 4km. Lübbenau war touristischer als Burg, aber mit kleinen Brücken über die Fließe und kleinen Pfaden zwischen den Orten auch wunderschön. Nimmt man hier einen Kahn, so fährt man bis nach Lehde, hat dort eine Stunde Aufenthalt und fährt dann wieder zurück nach Lübbenau. Wir waren ja zu Fuß unterwegs und konnten daher nach unserem eigenen Zeitplan arbeiten. Wir gingen vorbei an kleinen Spreewaldhäuschen und -höfen und überquerten die Fließe über die kleinen Brücken. In Lehde nahmen wir Plinse zu uns, eine Art von Pfannekuchen mit Hefe und Kompott. Sehr lecker! Das Wetter war dazu wieder fantastisch. Selbst die Polizei des Dorfes war entspannt und schipperte mit dem Polizeiboot an uns vorbei.

Auf dem Rückweg pilgerten wir nicht nur durch die Natur, sondern auch noch an dem Haus vorbei, an dem einst Tante Frieda wohnte, die Schwester meines Opas. „Das ist ein unbedingtes Muss, immer, wenn ich hier bin!“, sagte Ingrid. Aber familientechnisch sollte es noch besser kommen: In einem anderen Stadtteil von Lübbenau trafen wir uns kurz vor der Abreise gen Heimat noch mit Sigrid, Friedas Tochter, und deren Sohn Matthias. Sigrid hatte ich, seit ich klein war, nicht mehr gesehen und sie erzählte freudig, wie ich als kleiner Lockenkopf immer hinter Tante Frieda herlief und dabei „Tante Pieda, Tante Pieda!“ rief. Ganz anderer Familienstrang, weit entfernt von unserer Chaosfamilie und sicherlich ein bisschen organisierter als wir. Wir sahen uns alte Fotoalben an und rekonstruierten den Weg von Frieda und meinem Opa Kurt aus Schlesien in den Spreewald und ins Weserbergland. In Schlesien hatte unsere Familie einen Bauernhof, bevor sie zu Flüchtlingen wurden. Vielleicht kommt daher dieser tiefe Wunsch in mir nach einem Restehof. Ein bisschen Ahnenforschung war auf jeden Fall ein gelungener Abschluss für einen Familientrip wie diesen. 

Spät, aber glücklich, trudelten wir wieder zuhause ein. Eine große Familienzusammenführung mit Frieda und Kurts Nachfahren spukt aber schon jetzt in unseren Köpfen herum…

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