Tansania 2022 (4): Stonetown und die Riesenschildkröten von Changuu Island

Im UNESCO-Weltkulturerbe Stonetown tauchen wir zunächst in die düstere Geschichte Sansibars als größter Umschlagplatz für Sklaven im Afrika des 19. Jahrhunderts ein. Unser Guide zeigt uns eine der ehemaligen Sklavenkammern, in denen seinerzeit 75 Mann bis zu ihrem Verkauf ausharrten. Der Raum ist flach und eng. Die Menschen hatten Ketten um den Hals und an Armen und Beinen. Es war nicht möglich hier zu stehen, nur liegen und sitzen ging. Und an eine Toilette war natürlich nicht zu denken. Unglaublich, was Menschen anderen Menschen antun. Es geht einfach nicht in meinen Kopf rein, als wir dort sitzen und zuhören und jedem von uns das Atmen in dem stickigen Keller schwerfällt. Mads will eigentlich sofort wieder raus. Das ist ihm alles nicht geheuer. Mia hält tapfer durch und hört andächtig zu. Es gibt zwei kleine Fensterschlitze, durch die ganz wenig Licht hereindringt. „Bei Regen kam das Wasser durch diese Schlitze.“, sagt unser Guide. Viele Sklaven überlebten schon die Zeit hier nicht, ein weiterer großer Anteil starb auf einer der Überfahrten mit den Schiffen ihrer Käufer zu ihrem Bestimmungsort.

Neben dem ehemaligen Sklavenmarkt steht ein Denkmal. Mehrere schwarze Menschen in Ketten. Es soll an diese Zeit erinnern und vor ihr mahnen. Auf dem Markt selbst wurde nach Abschaffung der Sklaverei Ende des 19. Jahrhunderts eine anglikanische Kirche gebaut. Ihr Altar steht genau an der Stelle, an der früher der Baum stand, unter dem die Sklaven verkauft wurden. Ein David Livingstone war maßgeblich für das Ende des Sklavenhandels auf Sansibar verantwortlich. Er berichtete in einem Tagebucheintrag seinem Heimatland England von den katastrophalen Zuständen, die er in Stonetown auf dem Markt erlebt hatte. Seine Geschichte und auch Geschichten anderer Zeitzeugen kann man im zugehörigen Museum nachlesen. Einen Sklaven bekam man zur damaligen Zeit für umgerechnet 1,50€. Kaufte man zwei Erwachsene, bekam man zwei Kinder geschenkt dazu. Das kann man gar nicht fassen.

Wir schreiten andächtig über den Platz, vor dem zugehörigen Denkmal muss ich die Tränen zurückhalten. An der Kirche steht ein Schild: „May peace prevail on earth“. Gefühlt passiert in der Welt gerade das genaue Gegenteil und man fragt sich: „Wofür nur?“. 

All das versuchen wir abzuschütteln, als wir uns auf den Weg zum Stonetown Market, dem größten Markt hier, machen. Draußen gibt es Gewürze, Obst und Gemüse. In einer Halle ist der Fischmarkt der Stadt. Dort herrscht reges Treiben, in das wir uns stürzen und müssen ob des intensiven Fischgeruchs dann erstmal durch den Mund atmen. In großen Behältern warten Oktopusse auf ihren Verkauf, daneben nehmen Männer Fische aus. Danach kommt die Halle mit dem Fleischverkauf. 


Für westeuropäische Nasen und Augen ist das, was wir dort sehen, eher gewöhnungsbedürftig. Mia läuft mit geschlossenen Augen weiter. „Hier wird eben noch alles vom Tier verwertet“, sagt Jens. Und recht hat er. Als wir aus den Hallen wieder draußen sind, kommen wir zum angenehmen Teil des Marktes zurück. Wir riechen an duftenden Kaffeebohnen und probieren intensiv schmeckende Bananen. Lecker!

Hinter dem Markt in einer Gasse finden wir eine „Apotheke“. Unser Guide erzählt uns, dass die Menschen auf Sansibar häufig eher den Medizinmann konsultieren als einen konventionellen Arzt. Die Apotheke hat diverse Tierhäute zum Aufbrühen und Tinkturen zum Einreiben zu bieten. 

 

Stonetown ist extrem abwechslungsreich. Ein paar verfallene Häuser, dann wieder ein punkvolles Gebäude mit einer der weltbekannten, verzierten arabischen oder indischen Türen. Dann wieder ein Haus, das abgestützt werden muss, weil es sonst in sich zusammenfällt. Eines dieser letzteren Gebäude ist der ehemalige Palast des Sultans. Unser Guide erzählt uns, dass er eigentlich dringend saniert werden müsse, aber dass das Geld fehle. Er sagt, das ist Afrika. Man fängt an ein Haus zu bauen, hat irgendwann kein Geld mehr und macht eben dann weiter, wenn man wieder etwas flüssiger ist. Genauso funktioniert es auch mit dem Sanieren alter Gebäude.

Zwischen den Häuserblocks sind wild die Stromleitungen gespannt. Wie schon in Thailand möchte mein innerer Monk auch hier am liebsten hochklettern und die einzelnen Kabel geordnet wieder an die Wand zimmern. Hier wird einfach jedes Kabel so verlegt, wie es eben halbwegs dran passt. Und irgendwie funktioniert dieses wirre System ja auch. 


Das portugiesische Fort gehört auch zu einer der Attraktionen, die man in Stonetown sehen kann. Bis hierhin haben unsere Kinder den kulturellen Ausflug noch ganz gut mitgemacht, hier allerdings ist es dann doch zu warm. Das Fort wurde Ende des 17. Jahrhunderts erbaut und wurde die meiste Zeit des 19. Jahrhunderts als Garnison und Gefängnis genutzt. Heute finden in dem großen Amphitheater Veranstaltungen statt. Ansonsten ist es anscheinend der Touri-Hotspot schlechthin, wie man an der großen Anzahl der Souvenirverkäufer erkennen kann. 

Nach dem kulturellen Teil des Tages sind wir hungrig und durstig und kehren in der Ocean Grill Bar ein. Wir ergattern einen Sechsertisch und laden unseren Guide und eine Schweizerin aus unserer Gruppe, die allein unterwegs ist, mit zu uns ein. Die Schweizerin heißt Barbara und erzählt schmunzelnd, dass auch sie mit ihren Kindern auf Sansibar ist. Die sind aber schon 19 und 17 und haben sich nicht mehr überreden lassen, mit ihr auf kulturelle Entdeckungstour zu gehen. Sie lobt unsere Kinder, die gerade vor lauter Durst die kalte Sprite in sich hineinschütten. Anscheinend verdursten sie lieber als das stille Wasser zu trinken, das wir dabeihaben. Aber ich bin auch ein wenig stolz, dass sie diesen Tag in Stonetown mit uns mitgemacht haben. Es war doch viel schwere Kost dabei und sie haben artig zugehört, waren ganz still, als es um den Sklavenhandel ging und haben uns durch die Hallen des Fisch- und Fleischmarktes begleitet ohne zu murren. 

Mit Garnelencurry und gebratenem Thunfisch stärken wir uns und stillen auch unseren Durst mit Blick auf den Strand von Stonetown. Direkt neben dem Restaurant ist eine Garküche, in der man Bananensuppe mit einem Stückchen Fleisch für einen Dollar bekommt. Hätte eigentlich auch ausgereicht! Nach dem Essen bekomme ich noch den bestellen Kaffee, Jens und Barbara gehen leer aus. Stromausfall, wie so oft. Die Kaffeemaschine hat nur noch den einen geschafft. 


Am Nachmittag setzen wir vom Strand aus mit einem Dhow, dem traditionellen Boot hier auf Sansibar, über nach Changuu Island. Weg von den Gassen der Stadt, in denen sich mittlerweile die Hitze staut. Die Insel hat eine variantenreiche Vergangenheit: im 19. Jahrhundert diente sie zunächst als Züchtigungsanstalt für Sklaven, danach wurde sie zur Korallenmine. Schließlich wurde sie zu einem Gefängnis umgebaut, was ihr den Zweitnamen „Prison Island“ einbrachte. Das Gefängnis wurde allerdings nie eröffnet, sondern direkt in eine Gelbfieber-Quarantänestation umgewidmet.


Mit einigen Mitreisenden hat es sich Jens auf dem Dach des Dhows bequem gemacht und genießt bei der ca. 40-minütigen Überfahrt schon mal den Blick auf die Insel. Mia, Mads und ich sitzen unten (Mads hatte sich nicht hochgetraut) und erzählen uns Piratengeschichten. 


Wir legen an einem kleinen Strand an und gehen über den Strand und die angelegten Holzstege als erstes an einem Lost Place vorbei. Der Pool eines ehemaligen Hotels liegt hier wohl schon einige Jahre brach. Danach gehen wir durch die Ruinen der ehemaligen Gefängnisgebäude und begegnen dabei dem ein oder anderen Pfau. Und jetzt kommt das Beste für unsere Kinder. Auf der Insel wurden vor über 100 Jahren vier Riesenschildkröten von den Seychellen ausgesetzt, die dem Sultan geschenkt wurden. 

 

Mittlerweile haben sich die Schildkröten zu einer großen Population entwickelt, wobei die Älteste und letzte Überlebende der ersten Vier laut unserem Guide bereits 196 Jahre alt ist. Wir bekommen Salatblätter und dürfen die gemächlichen Tiere füttern. Das ist nicht nur für die Kinder spannend. Einige Schildkröten haben ihr aktuelles Alter als Zahl auf den Panzer gemalt bekommen. Wir raten wie alt das jeweilige Tier sein könnte und schauen dann nach.

 

In der sich senkenden Sonne schippert unser Dhow langsam wieder auf Stonetown zu. Was für ein interessanter Tag in der Stadt und auf der vorgelagerten Insel. Nun steht uns wieder der Sinn im schönen Nungwi noch ein paar Tage zu entspannen.

 

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