Das Weser-Hochwasser zu Weihnachten
Eine Pressemitteilung der Stadt zum aktuellen Hochwasser erreicht uns in diesem Jahr am Freitag, zwei Tage vor Heiligabend. In Großenwieden kann man sich Sandsäcke zum Schutz der Häuser in allen Orten abholen, wird dort geschrieben. Etwas mulmig wird uns zu dem Zeitpunkt doch. In meiner Kindheit habe ich am Berg in Rumbeck gewohnt und jetzt steht unser Haus nicht ganz so weit von der Weser entfernt. Naja, mal abwarten, was passiert.
Am Samstag erfahren wir, dass erste Straßen in umliegenden Orten gesperrt worden sind und dass 200m von uns entfernt die ersten Keller ausgepumpt werden müssen. Die Kanalisation ist vollgelaufen und zu allem Überfluss ist im Pumpwerk am Brüggenanger etwas defekt, so dass die Feuerwehr ausrückt und zudem notdürftige Reparaturen stattfinden müssen. Ersatzteile gibt es aufgrund der Feiertage nicht. Also hoffen wir das Beste. Samstagabend touchieren uns die Ereignisse persönlich ganz leicht. Unsere Abflüsse laufen nicht mehr ab. In Badewanne und Dusche steht das Wasser. Von den Nachbarn leihen wir uns einen Pömpel in weihnachtlichem rot, der aber auch nur zu mäßigem Erfolg führt. Wenn die Kanalisation voll ist, kann auch nichts ablaufen…logisch. Während bei uns das Wasser in den Toiletten artig am Schüsselrand stoppt, kommen einige Häuser weiter Dinge in der Toilette hoch, die man ganz bestimmt nicht im Haus haben möchte. Wir pömpeln uns angestrengt durch den Abend bis in die Nacht hinein und schlafen beim Gluckern und Gurgeln der Abflüsse schließlich ein.
An Heiligabend gleicht die Landschaft um unser Dorf herum einer Seenplatte. Mads und ich stehen im Sturm auf der Weserbrücke und Tränen fließen, weil der Spielplatz in Form eines Segelschiffes am Weserufer in den Fluten nicht mehr zu sehen ist. Meinen Kommentar, dass das Schiff wohl abgelegt hat, hätte ich mir wohl lieber verkneifen sollen. Aber ich erkläre ruhig, dass so ein Spielplatz sicherlich versichert ist und nach Rückgang der Weser wieder aufgebaut wird. Das beruhigt das Kind, auch wenn er - nach eigenen Aussagen - direkt auf alle Geschenke verzichten würde, wenn dieses Hochwasser doch nur ein Ende finden möge. Das Wasser erstreckt sich mittlerweile zwischen der B83 und den ersten Häusern von Fuhlen, deren Bewohner nur noch mit Gummistiefeln zu ihren Haustüren waten können. Der kleine Bach hinter unserem Haus, zu dem Kinder normalerweise in eine Senke herunterklettern, steht nun direkt an der Kante zum Damm. In der Kirche wird überlegt, das Gemeindehaus zu öffnen, um für den Notfall eine Weihnachtsstube einzurichten. Aber bisher geht der Schaden über vollgelaufene Keller wohl nicht hinaus.
Da sich am ersten Weihnachtstag die Lage noch nicht entspannt hat, gibt es erste Überlegungen für Betroffene einen Toilettenwagen in Fuhlen aufzustellen. Hinter unserer Siedlung beginnt das, was wir nun als „Fuhler Seenplatte“ bezeichnen. Bei unserer Chaosfamilie in Rumbeck, die am Hang wohnt und Blick auf den Weserbogen hat, fühlen wir uns abends, als die Lichter auf der anderen Uferseite angehen, wie am Lago Maggiore. Alois, der Besitzer des „Café Sorgenfrei“ trifft auf uns beim Familienspaziergang in der Dämmerung. Er scherzt, dass er wohl das Café öffnen oder einen Glühweinstand aufbauen sollte aufgrund der vielen Hochwassertouristen, die in Rumbeck an der Weser entlang pilgern.
Nachts schlägt die „NINA Warnapp“ Evakuierungsalarm. Unsere Handys sind im Flugmodus, also bekommen wir davon so gar nichts mit. Bis auf Mia, die uns morgens verwirrt erzählt, dass um 4:30 Uhr ihr Handy angegangen ist und sich der Alarm aufgrund der Elternsperre weder ansehen noch ausschalten ließ. Auf die Idee uns zu wecken, war sie nicht gekommen. Gut, dass die Evakuierung nicht hier im Ort stattfand, sondern im 12km entfernten Rinteln, das in der Nacht an einigen Stellen untergegangen ist.
Am zweiten Weihnachtstag stehe ich an der Wasserkante direkt hinter unserer Siedlung und blicke im Wind in die Wellen, die seicht auf mich zulaufen. Unter anderen Umständen wäre das hier wirklich idyllisch. Der Pattweg am Damm ist jetzt auch leicht überflutet, aber mit Gummistiefeln geht es. Vom Brüggenanger aus kommt man nicht mehr in Richtung Weserbrücke. Die Absperrung in der Straße ist wieder ein paar Häuser weiter in den Ort gerückt. Rudolf Wallbaum steht dort vor seiner Haustür, aus der über einen Schlauch Wasser auf die Straße läuft. Hier in der Straße habe man schon Schlimmeres erlebt und die Keller an dieser Stelle haben meist auch keine Bodenplatte, sondern Streifenfundamente. Rudolf erklärt uns locker, dass jetzt ausgepumpt wird und dann ist es auch wieder gut. Fuhlen und die anliegenden Orte an der Weser sind Hochwasser gewohnt und relativ gelassen, was die Thematik angeht. Lange vor meiner Zeit schon schipperten die Kinder von Fuhlen bei Hochwasser „mit Backtrog und Zinkwanne“ durch die Straßen, wenn mal wieder Wasser im Ort stand, erinnern sich Zeitzeugen im „Fuhler Dorfbuch“. Auch daran, dass es bereits 1912 Fotos vom Sanitätsrat Dr. Lagershausen gab, wie er mit seinem Opel Laubfrosch durch überflutetes Gebiet zu Patienten im Südweserbereich fuhr. Wie spannend, hier nachzuforschen!
Der Pegelstand beträgt am 27.12.23
6,40m, die 6,55m vom Hochwasser 1995 wurden bisher nicht geknackt und der Höhepunkt
soll damit für dieses Jahr hoffentlich erreicht sein. Unseren Nachbarn, die
über die Feiertage nicht zuhause sind, schicken wir Aufnahmen mit der Drohne
zur Beruhigung. Unsere Straße zuhause ist nach wie vor trocken, es kam nichts mehr aus
den Abflüssen und der Pegelstand hält sich einen Tag nach Weihnachten.
In diesem Sinne ganz viel Liebe an alle Kräfte, die hier über die Feiertage am Start waren. Immer wieder waren Fahrzeuge der Feuerwehr oder des THWs in den Straßen zu sehen. Immer wieder heulten die Sirenen, weil irgendwas irgendwo ausgepumpt werden musste. Wir wissen euren Einsatz für unsere Sicherheit (und unsere trockenen Füße) zu schätzen!
--> Fotoquellen eigene Aufnahmen & historische Aufnahmen aus dem "Dorfbuch Fuhlen"
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