#stayathome - Unser Leben in der Coronazeit

Zurzeit spielt sich für meine Generation die erste wirkliche, weltverändernde Krise ihres Lebens ab. Krieg haben wir nie erlebt, wir mussten nie hungern, hatten eigentlich immer alles, das wir brauchten und konnten prinzipiell reisen wohin wir wollten. 


Selbst als das Kernkraftwerk in Tschernobyl explodierte, waren wir noch sehr klein. Es ist eine meine ersten Erinnerungen, dass ich plötzlich nicht mehr im Sandkasten spielen durfte. So ähnlich wird es sich wohl für unsere Kinder eines Tages anfühlen, wenn sie auf die heutige Zeit zurück blicken. Zurück auf diese Zeit, in der ein Virus uns bedrohte, von dem man nicht wusste, ob es einen selbst glimpflich davon kommen lassen würde oder nicht. Mittlerweile geht die Zahl der Infizierten in Deutschland auf die 100.000 zu. Freunde in Italien berichten immernoch von katastrophalen Zuständen. Einige hat es selbst erwischt. 
Man wartet, igelt sich ein und hofft, dass das direkte Umfeld einfach nicht so schlimm getroffen wird. Dass es Oma und Opa weiterhin gut gehen wird. Dass mein Bruder sich in seiner Behinderteneinrichtung nicht ansteckt. Und man bewundert die Menschen, die in solchen Einrichtungen weiterhin zur Stelle sind, die sich im Hamelner Krankenhaus auf das Schlimmste vorbereiten oder die täglich trotz allem an der Kasse im Supermarkt sitzen oder oder oder... 


Und für uns persönlich? Wie hat sich unser kleines Leben verändert? Wie ist es nun kurz vor Ostern bei uns?


Unser Osterurlaub startet und die geplante Reise mit dem Bulli an die Küste fällt aus. Statt dessen wird das Campingabenteuer kurzerhand ins Wohnzimmer verlegt, ein Bettenlager wird aufgebaut und der Kamin ist unser Lagerfeuer. Auch ganz nett und eine der vielen kreativen Ideen unserer Kinder. Zurzeit ist eben alles anders und die letzten Wochen waren mal eine ganz andere Erfahrung. 


Die Kinder dürfen seit drei Wochen nicht in Kindergarten und Schule. Mia lernt zuhause mittels Apps und Unterlagen von der Lehrerin. Man wird pragmatisch und improvisiert, aber irgendwie funktioniert es halbwegs. Mads findet das Lernen per App so toll, dass er auch mitmachen will. Er übt erste Aufgaben für die erste Klasse. Wahrscheinlich können wir ihn nach den Sommerferien direkt einschulen lassen, haha.  

 
Auch Freunde dürfen natürlich zurzeit nicht zum Spielen kommen. Das ist eigentlich für die Kinder das Schlimmste. Zumal Mads kürzlich seinen fünften Geburtstag gefeiert hat und niemand außer uns an der Party teilnehmen konnte. Aber es ging auch anders: Videobotschaften und Sprachnachrichten von Verwandten und Kindern, viele Anrufe. Einige haben an der Haustür Geschenke übergeben als wären wir alle Geheimagenten des BNDs oder haben von der Terasse durch's Fenster gewunken und eine Kleinigkeit auf dem Tisch stehen gelassen für den Lüttjen. Mia schminkt sich derweil per Videochat mit ihren Freundinnen. Oder sie spielen Spiele zusammen ("Wenn ich du wäre..."). Manchmal überwältigt es mich wie viel mehr Kontakt man zurzeit mit allen hat, obwohl man eigentlich weniger "echten" Kontakt hat. Auch ein schönes Gefühl in dieser merkwürdigen Zeit. 


Während Jens nur noch selten zur Arbeit fahren muss und in Kurzarbeit ist, arbeite ich aus dem Homeoffice. Plötzlich klappt es doch mit der Digitalisierung und dem Arbeiten von Zuhause. Lange Jahre war ich in meinem Betrieb Vorreiterin auf diesem Gebiet. Plötzlich aber sind alle Kollegen Zuhause und die bange Frage stand im Raum: Klappt das überhaupt? Werden wir produktiv sein? Die Antwort ist "Ja" und es macht mich wirklich stolz, wie viel mein Team und ich in den letzten Wochen geleistet haben. Wie viele Telefonkonferenzen wir täglich hatten. Wie viele Projekte wir ins Ziel gefahren haben, trotz der Situation. Abends hatte man oft kaum noch Lust zu sprechen oder das Zuhören fiel einem schwer. Aber es ging! Ab und zu reichte "mein Assistent" mir einen Kaffee herein. In einer Telefonkonferenz rief Mads aus dem Badezimmer: "Ich bin feeeeertiiiig!". Aber das löst momentan auch keine Panik in einem aus, denn nicht allzu selten weint auch mal ein Kind im Hintergrund während einer Telko. Das gehört jetzt zu unserem Alltag und ich finde das super! Es zeigt, dass wir alle nicht nur Kollegen sind, sondern auch Privatpersonen, ein Teil von Familien.


Aber nun habe ich erst einmal Urlaub. Wie ich eingangs schon schrieb, machen wir das Beste daraus, dass unser VW California in der Einfahrt stehen bleibt und sich unsere freie Zeit auf den Garten, Fahrradtouren und Spaziergänge beschränkt. Die Weser ist in der Nähe und läd zum joggen ein. Ich hatte schon ewig nicht mehr so viel Muskelkater, was wohl an der täglichen Joggingdosis liegt. 


Ab heute kann man in den Eisdielen wieder Eis holen und das Wetter soll in den nächsten Tagen phantastisch werden! Ich mag es ja kaum erwähnen, aber auch die Baumärkte machen wieder auf. Was haben wir in den letzten Wochen bereits am Haus und im Garten geschafft. Allein schon dadurch, dass bei jedem von uns die Stunde Fahrtzeit zur Arbeit weg fällt. Wir haben gestrichen, gekärchert, geschnitten und gebohrt. Wir sind als Familie wieder enger zusammen gerückt, haben wieder mehr Zeit für gemeinsame Dinge. Und wir haben mal wieder länger mit unseren direkten Nachbarn gesprochen, wofür in den letzten Monaten aufgrund von langen Arbeitszeiten, Dienstreisen und diversen anderen Verpflichtungen keine Zeit blieb. 


Das soziale Leben ist zurzeit nicht tot. Es ist einfach nur anders. Es konzentriert sich auf das, was direkt um einen herum passiert. Oder man bekommt plötzlich selbstgemalte Post von Verwandten (ja, so ein richtiger Brief, mit Briefmarke und so!). Und es ist doch auch schön, den Blick mal wieder für all die einfachen Dinge zu öffnen. Ich hoffe, dass wir aus dieser Zeit lernen und einen Teil dieses neuen Spirits mit in die Zukunft nach Corona nehmen.


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