Verwunschenes Prag

Nachdem mich Alex mehrere Tage besucht hat, um sich schonmal die Stadt anzugucken, in der sie ihren Winter verbringen wird, hat es mich für ein paar Tage nach Prag verschlagen. Eigentlich sollte es ja ein kleiner Trip von mir, Artem und Gavan werden, jedoch war Gavan's Koffer auf einer seiner vielen Reisen in die Heimat wohl verloren gegangen und er ist mal eben (!) nach Atlanta geflogen, um nach dem verschwundenen Gepäckstück zu suchen. Das hatte zur Folge, dass von unserer kleinen Gruppe nur noch Artem und ich übrig blieben. Aber auch kein Problem, denn wir waren seit Semesterbeginn die besten Freunde und irgendwie wie Geschwister. Man hat uns ja sogar eine gewisse Ähnlichkeit nachgesagt, was die anderen dazu veranlasste uns die identischen Zwillinge zu nennen, haha. Also wurde aus unserem Gruppenausflug ein Familientrip und der begann mit der Ankunft im Hostel "Karlak 15", seines Zeichens das billigste Hostel Prags. Dementsprechend waren unsere Erwartungen natürlich auch nicht allzu hoch, als wir in dem grauen Gebäude im Hinterhof des "Albert"-Supermarktes ankamen.


Das Gebäude wurde gerade renoviert und somit war im düsteren Treppenhaus kein Licht und man konnte durch offene Türen in dunkle Räume gucken, in denen Kabel aus der Decke hingen. Im zweiten Stock befand sich das Hostel und eine etwas verwirrte Frau Ende 60 begrüßte uns in gebrochenem English. Gut, dass ich einen russischen Begleiter dabei hatte, der sich dann in einem tschechisch-russischen Mix mit der guten Frau verständigen konnte. Sie teilte uns in einen 5er Schlafsaal ein, da sie eh die Schlüssel für alle anderen Zimmer verloren hatte ("They were there...and in the next moment: all gone!"). Dann haben wir uns einen ersten Eindruck von der Stadt verschafft. Prag ist wirklich atemberaubend schön! Natürlich nicht unbedingt das Viertel, in dem sich unser Hostel befand, aber die Altstadt mit ihren kleinen Gässchen, die Brücke mit den Heiligenfiguren und der Blick von dort auf das Schloss waren wirklich etwas besonderes.

 

Artem hatte die Nacht vor der Abreise so gut wie gar nicht geschlafen, weil er mit dem Aufräumen und Säubern seines "Cages" beschäftigt war - es war schließlich seine letzte Nacht in Kopenhagen, da er nun durch Europa reist. Als sind wir relativ früh zurück zum Hostel zurück, da er sich eine Stunde hinlegen wollte, bevor wir das Nachtleben erkunden sollten. Allerdings hatten wir dann ein ziemlich schlechtes Timing, denn während er schlief hatte ich mich partyfertig gemacht und bis er aufwachte war ich in meinen schicken Sachen auf meinem Bett eingeschlafen und auch energisches Aufwecken brachte da nichts mehr. Und die Nacht hätte ja auch so erholsam sein können, wenn mein russischer Reisegefährte nicht plötzlich mitten in der Nacht gegenüber auf seinem Hochbett gestanden hätte und mit erhobenen Armen laut irgendetwas in russisch in die Nacht hinein gerufen hätte. Ich wurde dadurch auch dem Tiefschlaf aufgeweckt und war etwas verwirrt, zumal ich ja noch nicht einmal verstanden hab, was genau mir da gerade entgegen schallte. Ein leises Nachfragen wurde von ihm damit beantwortet, dass er wie tot wieder in sein Bett fiel und laut zu schnarchen begann. Irgendwie war die Nacht allgemein sehr unruhig, denn einmal hatte ich Angst, dass jemand durch's Fenster einbrach (es waren ca. 30°C und das Fenster war die ganze Nacht auf), ein anderes mal hatte ich das Gefühl, dass etwas kleines tierisches über meine Bettdecke huschte. 

Als ich wieder einmal aufwachte, fiel mir auf, dass ich ja immernoch in meine Ausgehklamotten gekleidet war und beschloss mich schnell umzuziehen. Als ich gerade meinen Koffer wieder zuklappte, hörte ich, wie jemand versuchte von außen unsere Tür zu öffnen. Wieder und wieder versuchten sie es. "This must be the wrong key" hörte ich die vertraute Stimme unserer merkwürdigen Hausherrin sagen und beschloss weitere Öffnungsaktionen von außen zu ignorieren. Allerdings erwies sie sich als sehr hartnäckig und klopfte schließlich, so dass Artem genervt aus seinem Bett murmelte, dass ich doch die Tür einfach aufmachen sollte. Geblendet vom grellen Licht des Flurs erkannte ich die Umrisse der merkwürdigen Frau...sie mich wohl allerdings nicht, denn das erste, was sie sagte war: "Who are YOU??? Did I give you this key???". Ja, sie hatte unsere Ankunft schon nach einigen Stunden wieder vergessen und war etwas verwirrt, was für ein kleines, blondes Mädchen da nun im Schlafanzug vor ihr stand. Ich versuchte den Rest der Nacht Vergleiche mit dem Bates Motel aus Psycho zu vermeiden und hoffte aufrichtig, dass sie mich am nächsten Morgen wenigstens wieder erkennen würde.

 

Den zweiten Tag verbrachten wir damit, die Altstadt genauer unter die Lupe zu nehmen und den kleinen Hügel daneben mit der Tram hochzufahren, um oben vom gefälschten Eiffelturm den Blick über Prag zu genießen. Ich hatte mir in der Zwischenzeit einen Mini-Reiseführer gekauft und mit dem haben wir dann die Bedeutung der einzelnen Gebäude ergründet. Ich hatte in der ersten Nacht zwar Fieber bekommen, habe aber trotzdem alles gesehen, was ich sehen wollte, denn es war besser sich durch die Stadt zu schleppen, als den Tag krank im Bates Motel zu verbringen. Den Palast konnten wir leider nicht angucken, da George Bush am Abend zuvor begleitet von duzenden von Policie-Streifenwagen begleitet, in Prag angekommen war und den Palast wohl für sich haben wollte. Abends haben wir dann Cocktails getrunken und über unsere "richtigen" Familien gequatscht. Meine Nachtruhe wurde wieder einmal von meinem Begleiter unterbrochen, der diesmal - wie er das auch immer so auf die Schnell geschafft hat - mitten in der Nacht plötzlich vor dem Bett stand und zu mir meinte, ob wir denn nicht zurück zum Hostel gehen sollten. Meinen Kommentar, ob ihm nicht bewußt sei, dass wir uns im Hostel befinden und dass es zudem mitten in der Nacht sei, konterte er nur mit der Bemerkung, dass er wohl langsam verrückt werde und ließ sich daraufhin wieder in sein Bett fallen. Sehr merkwürdig, man sollte seine nächste Freundin vor seinen nächtlichen Ausflügen warnen, haben Anne-Laure und ich vorhin beschlossen...

 

Am dritten Tag hatten endlich die Museen und der Palast wieder auf. Also haben wir zunächst im tschechischen Nationalmuseum ausgestopfte Tiere bestaunt und danach die gothische Kathedrale, das Goldene Gässchen und einige mittelalterliche Ritterrüstungen angeschaut, die laut Artem allesamt billige Imitate waren (ja mein russischer Zwillingsbruder ist sehr am Mittelalter interessiert und hat mir dann die einzelnen Details erklärt, an denen man Fälschungen erkennen kann). Im Turm der Kathedrale habe ich vor Platzangst fast keine Luft mehr bekommen, aber der Ausblick hat sich, trotz des plötzlichen Gewitters, auf jeden Fall gelohnt! Als sich wieder einmal ein Tag, in dem wir zu Fuß etliche Kilometer zurück gelegt hatten, seinem Ende zu neigte, beschlossen wir uns mit einem richtigen Restaurantbesuch zu belohnen. Das lustige ist ja, dass man Tschechien auch mit Kronen bezahlt und alles auch genau die gleichen Preise hat wie in Dänemark, nur dass tschechische Kronen einen Umrechnungskurs von 30:1 in Euro haben, wohingegen dänische Kronen einen Kurs von 7:1 haben. In beiden Ländern kostet eine Flasche Wasser 19 Kronen, nur dass das in Tschechien 4x weniger ist als in Dänemark. Somit kostete uns unser Prager Teufelsgulasch mit Suppe vorweg und einem Bier für jeden umgerechnet nur 10 Euro und wir haben beschlossen, dass es wohl fast besser gewesen wäre, als Erasmus-Student nach Prag zu gehen statt nach Kopenhagen...zumindest für unser Budget ;o). 

Gestern Nacht waren wir dann schließlich in einem der vielen Prager Clubs, was zur Folge hatte, dass Artem wohl so müde war, dass er in der letzten Nacht selbst zum Schlafwandeln keine Kraft mehr hatte und ich meine erste Nacht in Prag durchschlafen konnte hehe. Heute morgen war dann der furchtbare Abschied. Er ist der erste meiner engsten Freunde hier, der Kopenhagen für immer verlässt und dann auch noch zurück nach Australien. Er ist wirklich so etwas wie mein kleiner Bruder geworden, der fast jeden Tag zumindest mal kurz vorbei geschaut und mir von seinen Dates - und Abfuhren - berichtet hat. Ein bißchen traurig, denn manchmal habe ich gedacht, dass es im Normalfall wohl mit Malte so sein könnte. Wir mussten uns in der Metro-Station schnell verabschieden, da er kein Ticket hatte und die Kontrolleure ihn so nicht mit bis ganz nach unten lassen wollten. War wirklich traurig, aber vielleicht ist so ein schneller Abschied auch ganz gut. Ich weiß, dass wir uns auf jeden Fall mal wiedersehen werden! Wirklich traurig, dass das Semester schon so gut wie vorbei ist...jetzt bin ich in meinem kleinen Zimmerchen in Kopenhagen und es ist einer der letzten 10 Tage angebrochen. Mal gucken, in welche Stadt es mich als nächstes verschlägt, nach Hause kann ich wohl auf Dauer momentan noch nicht. Dazu hat mich das Fernweh viel zu sehr im Griff! ;o)

 

Momentan weiß ich noch gar nicht, wie ich ohne Artem, Anne-Laure, Sophie, Kristel, Barbara, Alka und Salva überleben sollte und wie es sich wohl anfühlt, wenn wir alle wieder in unseren Ländern sind und man nicht mal eben ins Zimmer nebenan auf ein Täschen Tee geht und die neusten Ereignisse in PH austauscht oder die politische Lage in Italien oder Frankreich diskutiert. Wie es ist nicht mehr Mittwochs in der LABar alle seine Freunde zu treffen, Donnerstags schick ins Emma zu gehen und Freitags wie immer in der KulorBar zu versacken. Wie man den Sommer ohne den Amanger oder Klampenborg Beach überleben soll oder was man macht, wenn man zum Lernen ein ruhiges Fleckchen sucht und der Frederiksberg Have mit seinen kleinen Entchen und liebenswerten dänischen Familien nicht mehr um die Ecke ist. Kaum zu glauben, dass wir vorher nicht wußten, was ein Group Oral Exam ist und wie man in Dänemark eine Synopsis verteidigt. Wir haben viel für die Uni gelernt und wenig geschlafen, aber ich glaube das Wichtigste war, dass wir uns alle mit unseren unterschiedlichen Kulturen und unserem gleichen Way of Thinking kennen gelernt haben...und vorallem auch uns selber.

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